Kinderwunsch
Die Achterbahn der Gefühle
Die mentale Seite des Kinderwunsches ist mindestens genauso wichtig, wie unsere körperlichen Voraussetzungen. Dabei reicht die Palette mentaler Baustellen von inneren Konflikten im Bezug auf die Schwangerschaft oder Mutterrolle bis hin zu Ängsten oder negativen Glaubensätzen, die sich in unserem Handeln und Fühlen manifestiert haben und zusätzlich Kraft rauben. Kraft, die wir sehr gut an anderer Stelle gebrauchen könnten. Die Erfahrungen, die ich mit den Frauen und Paaren in meiner Praxis im Rahmen des Kinderwunsches gemacht habe zeigen, dass es notwendig ist die mentale Seite des Kinderwunsches anzuschauen. Können hier Konflikte entschärft, emotionale Achterbahnfahrten reduziert und negative Glaubenssätze aufgelöst werden, kann der weitere Kinderwunsch-Weg einfacher beschritten werden.
Was bedeutet "mentale Ebene des Kinderwunsches"?
Auf der mentalen Ebene dreht sich alles um unsere Gefühle im Bezug auf den Kinderwunsch. Das Augenmerk richtet sich hier nicht mehr auf unsere Körperlichkeit, sondern liegt auf unserem mentalen Befinden - auch als Paar! Im Gespräch, oft schon direkt in der Erstanamanese, kommt man ganz ohne Umschweife auf Ängste, negative Glaubenssätze oder andere Probleme, die der Frau oder dem Paar auf ihrem bisherigen Weg zum Wunschkind zu schaffen gemacht haben. Da ist das eine Paar, dass sich durch die anstrengende Zeit der Behandlungen aus den Augen verloren hat und erstmal wieder zueinander finden muss. Oder die Frau, welche - oft allein in der Stille - mit sich selber Kämpft und innerlich zerrissen ist über die tiefe Sehnsucht nach einem Kind und dem entgegenstehendem Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit. Oder der Mann, welcher vor lauter Druck die werdende Familie ernähren zu können unter Erektionsstörungen leidet. Die Themen, die hier auf den Tisch kommen sind so unterschiedlich wie die Paare/ die einzelnen Partner und ihre Lebensgeschichte. Es gibt an dieser Stelle kein richtig und kein falsch - kein das darf ich denken und das darf ich nicht. Ich erlebe es häufig, dass insbesondere Frauen ihre Konflikte mit denen anderer Frauen/Paare vergleichen und ihren Konflikt im Folgenden als weniger schlimm abtun. Oft führt dies zu stillem Leiden mit dem sie sich versuchen zu arrangieren. So lange, bis der Druck zu groß wird und die Konflikte explosionsartig nach Außen dängen. Eine energieraubende Angelegenheit, der man durch zeitiges "darüber reden" und mit Hilfe von Konfliktlösungsstrategien sowie Entspannungsübungen den Wind aus den Segeln nehmen kann. Dabei darf man nicht vergessen, dass der Kinderwunsch, wie eine belastende Geburt auch immer eine lehrreiche Weiterentwicklung unserer selbst parat hält. Es liegt an uns, diese anzunehmen!
Negative Glaubenssätze - oder was glaubst du so?!
"Ich werde nie auf natürliche Weise Kinder bekommen." "Bei einem AMH* von x brauchen Sie es auf natürliche Weise gar nicht erst probieren." "Jetzt entspannen Sie sich mal. Dann klappt das schon mit dem Schwanger werden!" Solche und vieler anderer Sätze höre ich nur zu oft. Schnell daher gesagte, wenig empathische Aussagen, welche sich in das Gehirn der Betroffenen einbrennen und nicht mehr loszuwerden sind. Sie manifestieren sich in unserem Geist und bestimmen unser Handeln und Fühlen. Die einen bekommen absolute Aussagen an den Kopf geworfen, die als unumstößlich dargestellt werden. Und das bei einem Thema, dass immer wieder mit seinen eigenen Regeln überrascht. Meine Patienten kennen meinen Spruch: "Nichts ist in Stein gemeißelt, außer der Kopf ist ab". Was so viel bedeutet wie: So lange die Gebärmutter und alle anderen wichtigen Organe da sind, ist noch nichts verloren. Ich erlebe es immer wieder und muss wirklich sagen, dass ich darüber durchaus erbost bin, dass unachtsam mit klinischen Parametern und anderen Aussagen um sich geworfen wird. Sie bringen meist nur einen riesigen mentalen Scherbenhaufen, den die Frau/ das Paar allein wegkehren muss. Die anderen wiederum, die merken, dass etwas nicht stimmen könnte und sich rechtzeitig auf den Weg machen, werden barsch abgewiegelt und in die alte "Hysterie"-Schublade gesteckt. Dem inneren Gefühl vor allem der Frauen wird hier, wie so oft, keine Bedeutung beigemessen. Dabei wäre es so klug und für uns Therapeuten so viel einfacher, wenn wir diese Intuition ernst nehmen würden und sie in unsere Arbeit mit einbeziehen. Es benötigt jedoch Zeit und Fingerspitzengefühl die individuellen "Baustellen", der Betroffenen herauszuarbeiten und aus der Baustelle ein einladendes Nest zu errichten! Aber dies lohnt sich, denn können die negativen Glaubenssätze, die in bestimmten Schlüsselsituationen entstehen, aufgelöst werden, kann der Kinderwunsch wieder anders wahrgenommen und beschritten werden. Entlastung und Entspannung kann sich breit machen und Energie für den nächsten Schritt frei werden.
Kämpfst du noch mit dir selber oder mit den gesellschaftlichen Anforderungen? - Innere Konflikte und Ängste
Nicht nur negative Glaubenssätze machen den Betroffenen zu schaffen. Auch Ängste, die durch vorangegangene Fehlgeburten, sexuelle Gewalt oder im Rahmen der eignen Kindheit entstanden sind, können die Kinderwunschzeit auf eine harte Probe stellen. Innere Konflikte zerreißen die Betroffenen regelrecht: Bei Frauen muss ich immer wieder feststellen, dass eine Zerrissenheit zwischen der tiefen Sehnsucht nach einem Kind und dem Drang nach Selbstbestimmtheit entsteht. Zu recht! Denkt man doch, dass wir in unsere Gesellschaft im Jahre 2021 weiterentwickelter nicht sein könnten und Emanzipation und Gleichberechtigung überall umgesetzt worden wären. Als ob! Elterngeld und Elternzeit, flexible Arbeitszeiten und -Achtung!- Homeoffice machen noch keine Gleichberechtigung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aus Erzählungen und den eigenen Recherchen, sowie dem vorausschauenden Denken machen sich die Betroffenen meist schon vor Eintreten der Schwangerschaft Gedanken über das Thema. Gab es dann auch noch in der Lebensgeschichte der Frau Ereignisse, die den Fokus auf die Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit verschärfen, kann das in der Kinderwunsch-Zeit zu einer explosiven, bedrückenden Mischung werden. Vor allem, weil Frauen durch das Aussprechen dieses Konflikts befürchten müssen in die Ego-Schublade gesteckt zu werden. Aus diesem Grund tragen sie den Konflikt meist lange mit sich herum, bevor er auf den Tisch kommt. Ich bin mir sicher, dass wir die Empfängnis eines Kindes durch solche unausgegorenen Konflikte und belastenden Ängste beeinflussen können. Genauso, wie wir als Frau auch die Geburt unserer Kinder mental beeinflussen können. Lösen wir diese Konflikte auf, können wir nicht nur unseren Alltag entspannter meistern, sondern auch ein Kind freudig in Empfang nehmen.
Darum sollte Stress - mental wie körperlich - reduziert werden
Ängste haben direkte Auswirkungen auf unseren Körper, vor allem die Hormone. Denn Angst ist eine Art von Stress und das wiederum ist biochemisch gesehen Cortisol - unser Stresshormon. Leider führt kontinuierlicher Stress bei Frauen dazu, dass u.a. der Progesteron-Wert absinkt. Dem geschuldet, dass die Bildung der "Sexualhormone" und des Cortisols sehr eng miteinander verschalten sind. Progesteron brauchen wir jedoch in ausreichender Menge, um schwanger zu bleiben/zu werden. Und da diese Schwangerschaft so sehnsüchtig erwartet wird verursacht ihr Ausbleiben wiederum Stress. Ein Teufelskreis also! Um so wichtiger die Stressquellen zu reduzieren.
Freier Platz - natürlich ist Platz... oder etwa nicht?!
Neben den Ängsten, Konflikten und Glaubenssätzen gibt es noch einen weiteren wichtigen Aspekt, der meiner Meinung nach den Kinderwunsch und die Empfängnis beeinflussen kann. Das Familiensystem, das aus sichtbaren und unsichtbaren Verbindungen zwischen allen Familienmitgliedern im engeren und weiteren Sinn besteht. Das, wenn wir eine Partnerschaft eingehen, um die andere Familie erweitert wird. Hier nehmen die Personen nicht nur eine verwandtschaftliche Position, wie die des Cousins oder der Mutter ein. Sondern auch unbewusste Rollen und Aufgaben. In einer systemischen Familienaufstellung können zu bestimmten Themen diese Aufgaben und Verbindungen sichtbar gemacht und damit in unser Bewusstsein geholt werden. Gibt es im Rahmen eines Kinderwunsches einen Konflikt im System, kann auch hier ein noch nicht erfüllter Kinderwunsch seinen Ursprung haben. Ich erlebe dies häufig, wenn es um die Emanzipation von den eigenen Eltern geht. Die werdende Großeltern halten unbewusst an ihren erwachsenen Kindern fest oder umgekehrt und geben sie/ sich selbst quasi nicht frei für die Rolle als Mutter oder Vater. Hier kann im Folgenden auch die Lernaufgabe stecken, die sich hinter dem Deckmäntelchen "Kinderwunsch" befindet. Der Platz kann auch durch Bedürfnisse, Zustände, berufliche Ziele oder ähnliches belegt sein. Diese systemischen Verstrickungen aufzuspüren, anzuschauen, ihre Bedeutung herauszufinden und ggf. aufzulösen ist ein weiteres wichtiges Puzzlestück. Dieses hilft uns dabei unseren Kinderwunsch besser zu verstehen, zu akzeptieren und weitergehen zu können. Denn eine weitere Hürde auf dem Weg zum Wunschkind wurde überwunden.
Die mentale Ebene des Kinderwunschs ist ein weites Feld, auf dem Manche oder Mancher einiges über sich, sein Leben und seine Weiterentwicklung lernen kann. Nicht jedes Kinderwunsch-Paar oder -Partner hat hier Themen. Auch müssen nicht immer alle Konflikte und Ängste abgebaut sein, um Eltern werden zu können.
Es hilft nur ungemein sich diese Aspekte anzuschauen, um ein tieferes Verständnis und Bewusstsein über die eigene Sehnsucht nach einem Kind zu erhalten und seinen Weg zum Wunschkind zu finden.
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