Cytotec im Visier

Die neue Leitlinie zur Geburtseinleitung

Es wurde ein erster Schritt in die richtige Richtung gemacht, bei dem jedoch wichtige Aspekte ausgelassen und das Übel nicht an der Wurzel angepackt wurde. Aber vielleicht das erstmal Wichtige und Notwendige, um eine Veränderung einzuläuten. Die Gesellschaften für Gynäkologie und Geburtshilfe aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben im Dezember 2020 erstmals eine Leitlinie zum Thema Geburtseinleitung veröffentlicht. Anlass, diese Leitlinie zu erstellen sind die jüngsten Diskussionen über den Einsatz von u.a. Cytotec® (Misoprostol) in der Geburtshilfe sowie der Rote-Hand-Brief des BfArM zu eben diesem Medikament. Ziel dieser Handlungsempfehlung soll es sein, einen Überblick über die Geburtseinleitenden Maßnahmen, deren sicheren Einsatz und die Entscheidung zur Einleitung überhaupt zu geben, um so eine Verbesserung der geburtshilflichen Einleitung zu erreichen.

Die Leitlinie

Erstmals wurde im Dezember 2020 eine Leitlinie speziell zum Thema "Geburtseinleitung" von offizieller Seite veröffentlicht. Bisher gab es keine vergleichbare Handlungsempfehlung, die explizit Empfehlungen für das Vorgehen bei einer Geburtseinleitung zusammen gefasst hat. Basis dieser Leitlinie ist die Expertenmeinung verschiedener führender Experten im Bereich Gynäkologie und Geburtshilfe der Schweiz, Österreich und Deutschland. Die Meinungen der Experten wurden in einem "Konsensusverfahren"  ausgewertet, um eine fundierte Aussagekraft zu den verschiedenen Fragestellungen, wie Einleitung nach Entbindungstermin, Einleitung bei Schwangerschaftsdiabetes, usw. zu erreichen. Ziel der Leitlinie soll es sein die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Geburtseinleitung zu bündeln, unnötige Einleitungen zu verhindern sowie die medizinische Versorgung von Mutter und Kind zu verbessern. Die Leitlinie ist eine S2k-Leitlinie, die sich nicht auf Evidenz - also höchstem wissenschaftlichen Niveau - bezieht, sondern auf Expertenmeinungen.

 

Gute Ansätze 

Neben direkten Handlungsanweisungen, also bei welcher Frau welche Einleitungsmethode vorzuziehen ist und wann eine Einleitung überhaupt notwendig und sinnig ist, geht die Leitlinie überhaupt darauf ein, dass die Indikation für eine Einleitung kritisch hinterfragt werden muss. Zudem müssen die Frauen/ das Paar über die Methode und die damit verbundenen Risiken und Vorteile aufgeklärt werden, vor allem dem Off-Label-Use von Cytotec®. Somit wird vor allem den Frauen die Möglichkeit gegeben, eine für sich gute Entscheidung für oder gegen die Einleitung zu treffen. 

 

Der Fall Cytotec

Insbesondere zum Einsatz von Misprostol (Cytotec®), welches in den letzten Monaten öffentlich stark in die Kritik geraten ist, wurde Stellung bezogen. Cytotec ist bisher für die Behandlung von Magegeschwüren zugelassen, da es unter anderem die Säureproduktion im Magen hemmt. Darüber hinaus zeigt es eine wehenfördernde Wirkung, die man sich zur Geburtseinleitung zunutze macht. Da aus ethischen Gründen Studien an Schwangeren und Kindern (dazu zählen auch Ungeborene!) nicht durchgeführt werden, wird Cytotec® seit Jahren off-label angewendet. Für die sichere Wirkung zur Geburtseinleitung sind keine Arzneimittel mit der richtigen Wirkstärke auf dem Markt. Somit wurden Tabletten mit höherem Wirkstoffgehalt geteilt. Und hier fängt die Misere an: Die Tablette ist nicht teilbar, auch wenn Sie äußerlich eine Kerbe hat. Diese ist eine Schmuckkerbe und garantiert nicht, dass nach Teilung die entsprechenden Tablettenhälften gleich viel Wirkstoff beinhalten. Zumal im Fall Cytotec® die Tablette mehrmals geteilt werden muss. Jedem Pharmazeuten stellen sich an dieser Stelle die Nackenhaare hoch, da eine genaue Dosierung in diesem Fall nun wirklich nicht mehr gewährleistet ist. Vor allem nicht, wenn es sich auch noch um einen Wirkstoffgehalt im niedrigen Mikrogramm-Bereich handelt! Das Nebenwirkungen, Über- und Unterdosierungen an der Tagesordnung sind und waren wundert mich als Pharmazeutin nun gar nicht. In der Leitlinie wird explizit auf dieses Problem hingewiesen und klar gestellt, dass ausschließlich exakt hergestellte Präparate aus den entsprechenden Krankenhausapotheken verwendet werden sollen. Denn immer noch macht die Dosis das Gift! Was heißt, dass im richtigen Konzentrationsberich die positiven Effekte eines Wirkstoffs überwiegen. Im falschen Konzentrationsbereich, meist bei zu hoher Dosierung der gleiche Wirkstoff eher in die Kategorie "Gift" gehört und seine negativen Wirkungen überwiegen. Wen wunderts, dass bei einer unzulässigen Teilung nicht teilbarer Tabletten die Dosierung nicht passt. Die Frauen daraufhin überdosiert sind und entsprechend starke unproduktive Wehen bis hin zu schwerwiegenden Geburtsverletzungen erleiden. Dies ist in meinen Augen ein Kunstfehler! Richtig dosiert sieht die Sache mit der Wirkung und Nebenwirkung schon wieder ganz anders aus. Meiner pharmazeutischen Meinung nach ist das Problem nicht der Wirkstoff selber, sondern der Umgang mit diesem, der den Frauen zu schaffen macht.

 

Neben der Herstellung spielt zudem die Art der Verabreichung eine Rolle: Die orale Gabe soll zur Geburtseinleitung bevorzugt werden, da hierbei durch den sogenannten First-Pass-Effekt die Wirkung beeinflusst wird. Der First-Pass-Effekt spielt bei bei der Verabreichung von Medikamenten über den Magen-Darm-Trakt eine Rolle. Also der Gabe als Tablette, Lösung oder Kapsel zum Schlucken. Er beschreibt, dass bevor das Medikament überhaupt an seinen Wirkort, in diesem Fall die Gebärmutter, gelangt dieses schon zu einem gewissen Teil in der Leber abgebaut wurde. Bei manchen Wirkstoffen erfolgt im Rahmen des First-Pass-Effekt aber auch die Aktivierung vom sogenannten Prodrug zum wirksamen Wirkstoff. So auch bei Misoprostol. Gebe ich also 25 Mikrogramm Misoprostol als Tablette oral habe ich eine andere Wirkung, als wenn ich diese direkt über die Vagina geben würde. Es stellt sich vor allem die Frage welcher Wirkstoff denn über die Vagina wirkt und wie er wirkt. Das aktive, auf Wirkung und Sicherheit getestete Misoprostol entsteht ja erst nach oraler Einnahme in der Leber. Hat das Prodrug vielleicht auch eine wehenfördernde Wirkung, die jedoch viel potenter ist und bei genannter Dosierung vaginal schon zu stark ist? Die Experten beschreiben in der Leitlinie erstmals die Anwendung von Cytotec®, wie sie eigentlich selbstverständlich sein sollte: exakt dosiert in der Art und Weise, wie sie in den Studien auf ihre Sicherheit getestet worden ist. Damit sollten Nebenwirkungen und Gefahren für die werdende Mutter reduziert werden. Doch das ist meiner Meinung nach nur die halbe Miete!

 

 

Viel Luft nach oben für Verbesserungen

Um beim Fall Cytotec® zu bleiben wird einer der wichtigsten Aspekte außer Acht gelassen: die Wirkung auf die Mutter! Wenn es um die Sicherheit von Misoprostol geht, dreht es sich um Verlegung der Neugeborenen in die Kinderklinik, eine Verschlechterung des CTG (also des kindlichen Zustands) und um die Kaiserschnittrate, also dem Worst Case. Die Überstimulation der Gebärmutter und die damit verbundenen Risiken und Schmerzen auf Seiten der Mutter bevor der Worst Case eintrifft scheinen hier nicht weiter zu interessieren. So zu lesen auf Seite 51 der Leitlinie, letzter Absatz. Wird Misoprostol hier anhand falscher Endpunkte als sicher eingestuft? Ich erlebe es in letzter Zeit immer wieder in der mentalen Geburtsnachsorge, dass Frauen eine belastende Geburt oder Schwangerschaft erlebt haben, weil das Augenmerk ausschließlich auf das Wohl des Kindes gelegt wurde und die Mutter sprichwörtlich mit ihren Bedürfnissen hinten rüber gefallen ist.  Wie wäre es, wenn das Augenmerk auf unerwünschte Wirkungen nach exakt erfolgter Gabe (Kapseln mit eingestelltem Wirkstoffgehalt, oral verabreicht) auf die Mutter gelegt wird? Ist es dann auch noch als sicher einzustufen? Dieser Aspekt muss dringend geklärt werden. Zumal eine nachträgliche Erweiterung der Zulassung von Cytotec® zur Geburtseinleitung bei der breiten Nutzung notwendig ist - auch wenn Studien an Schwangeren zunächst als unethisch gelten. Hier dreht sich die Fragestellung ja nicht darum, wie ein Medikament bei Schwangeren wirkt. Sondern ob es bei der großen Gruppe an Schwangeren, an der es eh schon angewendet wird, gravierende Nebenwirkungen zeigt! Dies scheint für den Laien zunächst das Gleiche zu sein, sind jedoch in der Wissenschaft zwei grundlegend unterschiedliche Ansätze.

 

Darüber hinaus sollten die Methoden zur Geburtseinleitung im Allgemeinen ergänzt werden. Mir fehlt zum Beispiel ein psychologischer Ansatz bei Frauen, die in irgendeiner Form Angst oder Furcht haben. Dabei ist es unerheblich ob vor der Geburt, der Zeit danach oder andere Ängste im Spiel sind. Jeder weiß, dass der Sympathikus durch Angst aktiviert wird. Bei aktivem Sympathikus spannen sich Muskeln an, die Wehentätigkeit lässt nach oder tritt erst gar nicht ein, der Muttermund bleibt geschlossen oder verschließt sich wieder. Sind wir wiederum entspannt und können unsere Bedenken, Ängste und Furcht ein Stück weit loslassen, sprich wir fühlen uns in Sicherheit, können wir uns besser auf eine Geburt einstellen und sie auf natürliche Weise fördern. Eine Art psychologische Unterstützung bei Ängsten und Bedenken sollte den Frauen zusätzlich zu den genannten Methoden zur Verfügung gestellt werden. Durch meine Arbeit mit Frauen im Hinblick auf die Geburtsvorbereitung und meine ganz persönlichen Erfahrungen kann ich mir einen positiven Effekt im Bezug auf den Start einer Geburt sehr gut vorstellen. In der Kaiserschnitt-Leitlinie wurde die psychologische Beratung bereits mit aufgenommen. Am Rande des Themas möchte ich noch einen Aspekt erwähnen: die Begutachtung des Beckens und die richtige Ausrichtung. Denn wenn das Becken richtig ausgerichtet ist und sich folglich der Kindskopf optimal im Becken einstellen kann, kann auch die Geburt gefördert werden. Man beachte dazu den Vortrag der Hebamme Esther Göbel zum Thema Geburtsstillstand. 

Lange Rede...kurzer Sinn...

Die Leitlinie kann die Zeichen auf Veränderung stellen, wenn Sie vom Fachpersonal in den Kliniken Ernst genommen und umgesetzt wird. Verbesserungen und Erweiterungen, sowie eine Leitlinie auf S3-Niveau, also auf höchstem wissenschaftlichen Niveau, sollte folgen.

Eine Frage stellt sich mir aber dennoch: Warum müssen sich erst über 200 Frauen beim BfArM melden, damit die Folgen eines breit angewendeten Kunstfehlers (der falschen Dosierung von Cytotec®) ernst genommen werden? 

Durch einen groben Fehler hat das Vertrauen in die Geburtshilfliche Medizin zu recht einen herben Dämpfer erfahren! Nehmt die Frauen unter der Geburt ernst!

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