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Die "Kaiserschnittleitlinie" - ein Kommentar!

 

Anfang Juni 2020 wurde von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe die erste Leitlinie zum Thema Kaiserschnitt veröffentlicht. Die Leitlinie soll dem Geburtsteam, vor allem den Ärzten, eine Hilfe sein, um Frauen gut vor, während und nach der Geburt zu versorgen. Einige neue Aspekte, wie das Stillen und die Mutter-Kind-Bindung rücken hierbei zaghaft in den Fokus. Ziel dieser Handlungsempfehlung ist es unnötige Kaiserschnitte zu vermeiden und so die Kaiserschnittrate seit Jahren wieder zu senken! Meiner Meinung nach schlägt die Leitlinie den richtigen Weg ein. Damit diese gut umgesetzt werden kann und der Plan auch zum Wohle der Mütter aufgeht, braucht es mehr als nur eine Handlungsempfehlung! 

 


 

Was ist eine Leitlinie?

Im Rahmen der evidenzbasierten Medizin (evidence based medicine) werden für bestimmte Erkrankungen Handlungsempfehlungen ausgesprochen. In diesen Empfehlungen können vor allem Ärzte nachlesen, welches Vorgehen oder welches Medikament bei Erkrankung X am effektivsten und damit bevorzugt einzusetzen ist. Grundlage dieser Handlungsempfehlungen können zum Beispiel Studien sein, die gezeigt haben, dass eine bestimmte Operationsweise für die meisten Patienten von Vorteil oder ein Medikament A einem anderen Medikament B in seiner Wirkung überlegen ist. Bisher gab es eine solche Handlungsempfehlung für viele Erkrankungen. Vor allem solche die häufig auftreten und eine große Zahl an Leuten betrifft. Wichtig werden solche Leitlinien auch, wenn es um juristische Streitfragen, z.B. Behandlungsfehler ja oder nein, geht. Die Leitlinien haben einen bindenden Charakter, d.h. der Arzt soll sich dran halten und muss von der Leitlinie abweichende Handlungen begründen können.

 

Für den Kaiserschnitt als solchen gab es das bisher nicht. 

 

Welches Ziel soll mit Hilfe der "Kaiserschnitt-Leitlinie" verfolgt werden? 

Laut statistischem Bundesamt ist die Zahl der Kaiserschnittgeburten seit den 1990-er Jahren kontinuierlich gestiegen. Im Vergleich dazu sind die Vorteile eines Kaiserschnitts für Mutter und Kind, wie zum Beispiel sinkende Mütter- und Säuglingssterblichkeit nicht im gleichen Maße gesunken bzw. seit längerem auf einem statistischen Tiefpunkt. Aus diesem Unterschied könnte man ableiten, dass vielleicht der ein oder andere Kaiserschnitt unnötigerweise durchgeführt worden ist. 

Die Initiatoren der Leitlinie haben sich die Frage gestellt, warum so viele Frauen per Kaiserschnitt entbunden werden mussten und ob es nicht auch andere Geburtsmöglichkeiten gegeben hätte.

 

Das Ziel der Leitlinie ist es nicht nur auf lange Sicht die Kaiserschnittrate zu senken, sondern auch eine bessere Versorgung der Frauen zu ermöglichen.

 

Wichtige Weichen gestellt!

Ich habe mir die Leitlinie etwas genauer angeschaut. Und bin wirklich positiv überrascht. Man liest hier von der Förderung der Mutter-Kind-Bindung. Es wird empfohlen den frisch gebackenen Müttern ihre Kinder schon im OP-Saal, so weit medizinisch möglich, zu übergeben und das Bonding zu fördern. Mussten doch bisher viele Frauen dafür kämpfen, dass Sie ihr Kind wenigstens kurz zu Gesicht bekommen. Zudem wird nochmal explizit auf das Stillen nach einer Schnittentbindung eingegangen. Es wird empfohlen dieses besonders zu fördern, auch nach einer Vollnarkose. Oft wurde nach einer Vollnarkose die erste Milch/Kolostrum verworfen, um mögliche Medikamentenrückstände nicht an das Kind weiterzugeben. Auch bei Frauen, die einen Wunschkaiserschnitt anstreben soll künftig näher auf ihre Beweggründe eingegangen und entsprechende Hilfe angeboten werden. Ich erlebe es häufig in der mentalen Geburtsvorbereitung, dass sich Frauen aufgrund schlechter Erfahrungen bei vorangegangenen Geburten einen Kaiserschnitt wünschen. Dieser Wunsch ist völlig legitim und sollte auch von allen anderen akzeptiert werden. Nur ist es so, dass die Ängst, die häufig hinter dem Wunschkaiserschnitt stehen, angeschaut werden müssen. Denn diese begleiten uns unbewusst auch in anderen Situationen. Den Frauen diese Möglichkeit anzubieten und ein allgemeines Bewusstsein zu schaffen ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ein anderer Aspekt auf den ich Hoffnung setzte ist der, dass die mütterlichen Wünsche berücksichtigt werden sollen. Oft sind es scheinbare Kleinigkeiten, die eine Kaiserschnittgeburt als weniger belastend erleben lassen. Das Kind kurz auf die Brust gelegt zu bekommen, die Plazenta sehen zu dürfen, eine Kaisergeburt zu erleben und vieles andere sind wertvolle Möglichkeiten, die dazu führen können, dass die Mutter ein Stück weit gestärkt aus einem Kaiserschnitt geht.

Die genannten Aspekte sollten schon längst eine Selbstverständlichkeit sein. Hoffentlich in Zukunft!

 

Alles in allem wurden in der "Kaiserschnittleitlinie" endlich Aspekte in den Fokus gerückt,

die schon seit Jahren für ihre Anerkennung kämpfen und die in Zukunft vielen Frauen helfen können eine schöne Geburt zu erleben, auch wenn es ein Kaiserschnitt wird. 

 

 

Was zusätzlich Beachtung finden muss!

Wichtig ist an dieser Stelle, dass die Leitlinie ernst genommen und von vielen Teams auf den Entbindungsstationen des Landes gelesen und in die Tat umgesetzt wird. Und an dieser Stelle habe ich bedenken. Wenn wir uns die momentane Personalsituation auf mancher Entbindungsstation anschauen, sehe ich Schwierigkeiten in der Umsetzung. Damit die Frauen beraten und entsprechend ihrer individuellen Situation aufgeklärt und betreut werden können, brauchen wir Hebammen und Ärzte. Vor allem Erstere! Wenn ich alle Frauen, die ich vor und nach einer Geburt betreut habe zusammen nehme, erkenne ich folgendes: Es gibt die Frauen, welche bei besserer Betreuung von Beginn an keinen Kaiserschnitt benötigt hätten. Das sind die Frauen, die sagen "Ich war die ganze Zeit alleine. Es konnte sich keiner kümmern und dann musste alles ganz schnell gehen" Natürlich gibt es Notsituationen im Kreißsaal, in denen schnell gehandelt werden muss. Aber ich sehe auch, dass diese oftmals durch eine durchgehende Betreuung einer erfahrenen Hebamme hätten vermieden werden können. Man beachte den Vortrag von Hebamme Ester Göbel zum Thema Geburtsstillstand. Sie weist auf die Ursachen eines Geburtsstillstandes hin und zeigt Möglichkeiten auf, die Geburt wieder ins Fließen zu bringen. Der Geburtsstillstand ist im übrigen einer der häufigsten Gründe für eine Schnittentbindung.

Auf der anderen Seite sehe ich die Frauen, die sehr schnell gemerkt haben, dass etwas nicht stimmt. Dies nicht unbedingt konkret benennen konnten. Ihnen im folgenden nicht geglaubt wurde. Sie beschwichtigt wurden. Eine spontane Entbindung weiter unterstützt wurde, obwohl ein Kaiserschnitt an einem gewissen Punkt der Geburt die bessere Alternative für Mutter und Kind gewesen wäre. Ich sehe in der Leitlinie nicht nur die positiven Entwicklungen, die ich wirklich begrüße, sondern auch die Gefahr, dass Frauen spontan entbunden werden, obwohl ein Kaiserschnitt die bessere Wahl gewesen wäre

 

 

Wir brauchen auf der einen Seite diese Leitlinie, um eine neue Herangehensweise in der Geburtshilfe breit zu streuen und durch den offiziellen Charakter auch verbindlich zu machen.

 

Wir brauchen aber auch Personal und Wissen, wie adäquat mit schwierigen Situationen um zugehen ist, sowie Vertrauen in die Frauen und ihren Körper. An dieser Stelle sind auch die Frauen gefragt: Bereitet euch vor! Lernt auf euren Körper zu hören und stärkt euer Selbstvertrauen!

 

Hier nochmal die offizielle Version der Leitlinie zum nachlesen:  "Die Sectio caesarea"