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Schwere Geburten und ihr Potenzial zur positiven Persönlichkeitsentwicklung: Absurd oder Möglich?

 

Können schwere Geburten auch eine positive Seite haben? Kann ich mich durch die Verarbeitung meines Geburtstraumas persönlich weiterentwickeln? Fragen, die wir uns in der allgemeinen Diskussion um Geburtstrauma und Gewalt unter der Geburt bisher nicht gestellt haben. Deren Antwort ich jedoch regelmäßig in der Arbeit mit den Betroffenen erlebe. Meiner Meinung nach ist eine schwere Geburt dann vollständig verarbeitet, wenn ich das erlebte nicht nur in mein Leben ohne wenn und aber einfügen kann. Sondern wenn ich als Betroffene auch sagen kann: "Ich hatte eine schwere Geburt und ich habe durch diese Erfahrung etwas gelernt!" Das Gelernte ist dabei so individuell, wie die Frau selber und kann bei weiteren Schwangerschaften und Geburten der Schlüssel für eine friedliche Geburt sein!


Leichte Geburt - schwere Geburt: Was ist das Maß? 

Ob eine Geburt als leicht und unkompliziert oder als belastend und schwer empfunden wird, hängt maßgeblich von der Frau selber ab. Je nachdem wie wir vorbereitet sind, ob wir uns wohl fühlen, der Sache gewachsen sind , die Geburt plötzlich ohne größere Vorwarnung trifft oder welche Erfahrungen wir allgemein in unserem bisherigen Leben gemacht haben und viele weitere Aspekte haben Einfluss auf das Erleben der Geburt unseres Kindes. Grob zusammengefasst ist nicht wichtig wie entbunden wird oder unter welchen Umständen, sondern welche Emotionen und Empfindungen am Ende bei der Mutter bzw. dem Paar übrig bleiben. Denn nicht jeder Kaiserschnitt wird als belastend empfunden und nicht jede Spontangeburt als pure Freude! In einem anderen Beitrag von mir könnt ihr euch nochmal genau mit dem Thema Geburtstrauma und seine Auslöser auseinandersetzen.

 

Das Zauberwort "Verarbeitung": Nach schweren Geburten fühlt sich die frischgebackene Mutter meist gar nicht so "frisch": Enttäuschung, Wut, Scham, Hilflosigkeit, Überforderung, Bindungsprobleme zum Kind oder allgemein in der neuen Familie können auf der Tagesordnung stehen. Die positive Seite des Erlebnisses ist an dieser Stelle nicht zu erkennen. Dafür müssen wir mental erst einmal aufräumen!  

Ist das neue Leben als Familie langsam in stabile Fahrwasser gelangt, fängt die Verarbeitung an: Nach dem Schock, in dem wir manches Mal keine Emotionen fühlen können, realisieren wir das Geschehene, erinnern uns an vergessene Situationen und unsere Gefühle bahnen sich ihren Weg nach draußen, z.B. als Tränen. Ich vergleiche diese Phase oft mit einem unsortierten Puzzle, das sortiert und gelegt werden muss, um das eigentliche Motiv erkennen zu können. Haben wir diese Phase gemeistert stabilisiert sich unser Zustand: wir empfinden weniger Stress. Auch die Kinder entspannen sich oft sichtbar: schreien weniger und schlafen besser. Wir können die Geburt mit Abstand betrachten. Wut und Trauer haben sich gelegt. Wir können uns ein Stück weit damit abfinden und das Geschehene akzeptieren - ehrlich gesagt: uns bleibt nichts anderes übrig. Wir können das Geschehene nicht rückgängig machen. Aber wir können den Umgang damit und die Gefühle, die wir damit verbinden, beeinflussen und tatsächlich auch daraus lernen - der letzte Schritt der vollständigen heilsamen Verarbeitung einer belastenden Geburt. 

 

Was hat unser bisheriges Leben damit zu tun?

Oft kommen wir während der mentalen Geburtsnachsorge an den Punkt an dem ich die Frau frage, ob Sie ähnliche Erlebnisse schon einmal erfahren hat. Das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren; das Gefühl nicht ernst genommen zu werden, das Gefühl etwas stimmt nicht, aber es nicht greifen zu können...oder ähnliches. Oft wird meine Frage mit "Ja" beantwortet. Eine Geburt steht niemals als einzelnes isoliertes Ereignis im Leben. Es ist immer eingebettet in unser vorheriges und zukünftiges Leben - in unsere Biographie. Dadurch empfinden wir auch so unterschiedlich. Wir haben unterschiedliche Dinge in unserem bisherigen Leben erlebt, gelernt diese anzuschauen oder nicht, mit Gefühlen um zu gehen oder nicht. Wir haben alle unterschiedliche Voraussetzungen: körperlich und emotional! Eine Geburt kann manchmal auch eine Re-Inszenierung eines vorangegangenen Erlebnisses sein. Zum Beispiel, wenn das Geburtsteam Floskeln bringt, die wir schon als Kind von unseren Eltern gehört haben. Dann kann das trotzdem nett und aufbauend gemeint sein, aber uns unterbewusst in die Rolle des kleinen Kindes versetzen, inklusive der unerlösten Gefühle und Reaktionen von früher. Wichtig zu erwähnen ist hier, dass dies unterbewusst abläuft und wir erst mit etwas Distanz im Gespräch mit einer anderen Person diesen Aspekt erkennen können. Reinszenierungen bringen bis dahin verdrängte Erlebnisse auf die Bildfläche. Sie sollen uns daran erinnern, dass wir noch Altlasten mit uns herumtragen, die wir endlich abbauen sollten.

 

Um bei der Verarbeitung auch wirklich nachhaltig zu arbeiten und eine Aussöhnung zu erreichen, ist es also in manchen Fällen wichtig in die Vergangenheit zu reisen! Der Blick lohnt sich, um die Geburt und alles was damit in Zusammenhang steht besser einordnen zu können!

 

 

Was soll diese ganze Verarbeiterei denn überhaupt?

Wie du oben im Text lesen konntest, läuft die Verarbeitung eines belastenden oder traumatischen Erlebnisses - egal ob Geburt oder Autounfall - in verschiedenen Schritten ab. Das hat den Sinn, dass wir unerlöste Emotionen, wie Trauer, Scham oder Wut nachträglich ausleben und somit abbauen können. In der Situation - der Geburt selber- sind wir nicht dazu in der Lage. Wir stehen unter Stress und unser Körper ist nicht mehr in der Lage darüber Herr bzw. Frau zu werden. Der Geist stellt auf Autopilot um, damit wir halbwegs unbeschadet durch die Ausnahmesituation kommen und nicht noch mehr emotionaler Schaden angerichtet wird. Auch das anfängliche Verdrängen hat seinen Sinn: es ist ein Schutz, solange wir noch nicht dafür bereit sind uns an diese belastenden Erlebnisse ran zu wagen. Die unverarbeiteten Erlebnisse gehen in die geistige Warteschleife und kommen immer mal wieder nach oben in unser Bewusstsein, um zu testen, ob wir nicht doch bereit sind sie zu erlösen. 

Ist es denn nicht einfacher alles zu vergessen? Für eine gewisse Zeit ist dieser Verdrängungsmodus gut und wichtig - aber nicht nachhaltig. Emotionen sind Energie und die geht bekanntlich nicht verloren, sondern wird in andere Energieformen umgewandelt. Verdrängen wir immer weiter und geben den Emotionen nicht den Raum und die Beachtung, die sie benötigen, machen Sie sich selbstständig.  Wir spüren die unverarbeiteten Gefühle in Form von Unsicherheit, Stress, schneller Erschöpfung, fahrigem Verhalten oder Problemen darin Entscheidungen zu treffen, verminderter Selbstsicherheit und Selbstvertrauen, um nur einige wenige zu nennen. Dies sind übrigens auch Faktoren, die uns auf Dauer körperlich krank machen können.

 

Damit wir emotional  und körperlich gesund bleiben,

ist es notwendig belastende Erlebnisse zu verarbeiten!

 

Und warum soll ich am besten auch noch etwas daraus lernen?

Das Geschehene zu akzeptieren hat immer einen gewissen bitteren Beigeschmack: "Ich ergebe mich meinem Schicksal. Es hat ja eh keinen Zweck!" So könnte der Schluss einer verarbeiteten Geburt klingen. Schöner wäre es doch sagen zu können "Ich habe eine schwierige Geburt und erste Zeit mit meinem Kind erlebt. Ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Ich habe jedoch aus diesem Erlebnis gelernt, meine Bedürfnisse besser äußern zu können, mich durchzusetzen, meinem Bauchgefühl zu vertrauen..." Die Liste, was wir aus schweren Lebenssituationen lernen können ist unendlich lang. Manche Aspekte begegnen mir in meiner Arbeit mit traumatisierten Frauen jedoch immer weider: sich selber zu akzeptieren, die eigenen Bedürfnisse klar äußern zu können, Verantwortung zu übernehmen, das Selbstvertrauen zu stärken, Selbstsicherheit zu gewinnen, Kontrolle abzugeben und in den Fluss des Lebens zu vertrauen. Eines aber vor allem: dem inneren Bauchgefühl zu vertrauen. Dieses lenkt uns nämlich und ist in Kombination mit unserem Verstand ein wunderbares Team, um uns durch die Unwägbarkeiten des Lebens - vor allem der Geburt, der Schwangerschaft und dem Muttersein in seiner Gänze - zu manövrieren.

 

Lerne ich aus dem Erlebten kann ich mich weiterentwickeln

und in Zukunft die Dinge aktiv und positiv verändern!

 

 

Welche Auswirkungen kann das Gelernte für weitere Schwangerschaften und Geburten sein?

Habe ich es geschafft nicht nur "Gras über die Sache wachsen zu lassen", sondern mein Lern- oder Lebensthema hinter der schweren Geburt zu finden, kann ich mit ganz anderen Voraussetzungen in eine weitere Schwangerschaft und Geburt starten. Und das sage ich, weil ich es selber so praktiziert habe. Im Endeffekt ist mir zweimal das gleiche passiert: Plötzliche Wendungen im Geburtsverlauf, die in  Kaiserschnitten geendet sind. Der Unterschied zwischen den beiden Geburten ist von außen nicht sichtbar, aber für mich im Inneren sehr wichtig. Mein Thema hinter der ersten belastenden Geburt ist das Selbstvertrauen und das Vertrauen in meine Intuition. Bei der ersten Geburt habe ich meine Intuition beflissentlich überhört. Ja ich war ziemlich stur und taub was das anging. Als ich später erkannt habe, dass mich mein Bauchgefühl die ganze Zeit gewarnt hatte und ich einfach nicht darauf gehört und mich somit immensen Stress ausgesetzt habe, war ich unglaublich wütend. Ich habe es mir mal wieder schwerer gemacht, als notwendig. Für die zweite Geburt habe ich daraus gelernt und mein Bauchgefühl ernst genommen. Zunächst zögerlich. Aber mit den Übungssituationen, die mir die Schwangerschaft geboten hat, konnte ich zum Zeitpunkt der Geburt durch das Kombinieren von Bauchgefühl und rationalem Denken Stress und schlimmere Notfälle verhindern. Ich war durch die emotionale Arbeit vor und in der Schwangerschaft in der Lage mit Hilfe meiner Intuition "1 und 1 zusammenzuziehen" und ganz bewusst die Geburt zu lenken. Die plötzliche Wendung in Geburt Nr. 2 habe ich dann auch nicht als solche empfunden! Auch heute noch empfinde ich die Zeit nach der Geburt meines ersten Kindes als sehr schwierig. Zugleich aber auch bereichernd, da ich die Chance bekommen habe mich persönlich weiterzuentwickeln.

Ich kann jede Frau nur dazu ermuntern die Geburtserfahrungen und andere belastende Erlebnisse zu verarbeiten und zu schauen, ob nicht vielleicht ein Lern- oder Lebensthema dahinter stecken könnte. Dazu braucht man Ehrlichkeit gegenüber sich selbst, Geduld mit sich selbst und einen Blick von außen - am besten durch eine andere Person! Haben wir die Erfahrungen aus vorangegangenen Geburten nachhaltig verarbeitet, können wir weitere Schwangerschaften und Geburten positiv gestalten.

 

So können wir uns für unser Leben weiterentwickeln und unser Potenzial entfalten.

Manchmal müssen wir erst durch ein tiefes Tal gehen, um danach einen steilen Berg besteigen zu können.

Die Mühen lohnen sich!

 

P.S. Gerne begleite ich dich bei deiner persönlichen Entfaltung nach einer traumatischen Geburt, Fehlgeburt, schwierigen Schwangerschaft oder Wochenbett. Melde dich einfach telefonisch, per Mail oder buche online einen Termin!