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Wie sieht die optimale Geburt aus?

Der gesellschaftliche Konsens über den perfekten Geburtsmodus scheint klar: spontane natürliche Geburten sind am besten. Für Mutter und für Kind! - Tatsächlich? Wie muss eine Geburt sein, damit Sie als gut bzw. optimal empfunden wird? Wer bestimmt das?  Wer darf generell die Entscheidungen über die Art der Geburt treffen? Ich möchte zu diesen Fragen einige Denkanstöße geben, die auf den Erfahrungen aus meiner therapeutischen Arbeit und meinen persönlichen Erlebnissen als Schwangere beruhen. 


Spontane natürliche Geburt vs. Kaiserschnitt - gesellschaftlicher Druck und seine Folgen

 

Schaut man sich in den Sozialen Netzwerken um, liest Mummy-Blogs oder fragt in die Runde schwangerer Frauen, wie denn wohl die Geburt optimalerweise verlaufen sollte ergibt sich schnell ein scheinbarer allgemeiner Konsens: Am besten ist es, wenn das Kind spontan geboren wird. Ja, die Antwort ist logisch. So hat es die letzten Jahrtausende auch mehr oder weniger gut funktioniert, zumindest um uns Mensch als Art zu erhalten. Auf die Einzelne wird in Sachen Arterhalt wenig Rücksicht genommen - das Gesamtergebnis muss stimmen. Im Jahre 2020 ist der Mensch jedoch ein sozialisiertes Geschöpf, dass keine Angst um seinen Arterhalt haben muss. Er hat sich einige Tricks und Kniffe angeeignet, um natürliche Prozesse zu optimieren und den negativen Folgen davon zu entgehen. So auch bei der Geburt eines neuen Erdenbürgers. Da wir erkannt haben, dass diese modernen Errungenschaften v.a. in der Geburtshilfe auch ihre Schattenseiten haben, tendieren wir mehr als zuvor wieder zu den natürlichen Methoden. Dies ist wunderbar! Wir sollten nur eines nicht vergessen: alles hat seine Berechtigung und seinen Sinn. Ich erlebe es häufig, dass Frauen zu mir in die Praxis kommen, die sehr traumatische Geburten erlebt haben. Diese Frauen leiden nicht selten unter Schuldgefühlen gegenüber ihrem Kind da dieses nicht spontan, auf natürliche Weise ohne weitere Eingriffe geboren werden konnte. Meist gab es handfeste Argumente für einen Eingriff oder sogar Kaiserschnitt. Solche Argumente, bei denen es um Leben und Tod der Mutter oder des Kindes ging. Eigentlich sollte man denken, dass der Kaiserschnitt in ihren Fällen lebensrettend war. Warum fühlen sich die Frauen dennoch schuldig? Meiner Meinung nach werden diese Schuldgefühle unter anderem durch die allgemeine Meinung über die optimale Geburt produziert. Da alle nur das Beste für ihr Kind wollen und die Allgemeinheit festgelegt hat, was das allgemein Beste sei, sowie Anfeindungen bei nicht beachten dieses Verhaltenscodex durchaus auf der Tagesordnung stehen, wollen wir alles tun, um genau das Beste zu erreichen und natürlich auch möglichen Anfeindungen zu entgehen. Ich nenne diesen Umgang unter schwangeren Frauen und Müttern, sowie allen anderen Beteiligten gerne "Mummy Wars". Es gleicht einem Krieg, bei dem es ums "Höher, Schneller, Weiter" im Bezug auf unsere Kinder geht. Ein emotionaler Krieg, der sehr belastend sein kann, wenn man sich als Beteiligte nicht abgrenzen kann. Das der allgemeine Konsens und das Beste für uns und unsere Kinder für jeden anders aussieht wird dabei gerne mal außen vorgelassen, auch wenn es allen klar ist. Und genau hier ist meiner Meinung nach einer der Knackpunkte! Sind wir offen gegenüber den Voraussetzungen, Bedürfnissen und Wünschen unseres Gegenübers, erkennen wir, dass - um bei der Geburt zu bleiben- nicht immer die spontane Entbindung optimal ist. Und Anfeindungen gegenüber Müttern, für die zum Beispiel ein Kaiserschnitt -aus welchen Gründen auch immer- die bessere Wahl war, ein absolutes No-Go sind. Warum können wir nicht in unserem Streben nach Individualität auch andere Meinungen, Lebenswege und Wünsche in Bezug auf die Geburt unserer Kinder akzeptieren? Und andersherum spielt auch folgender Aspekt eine Rolle: wir vergleichen uns ständig mit anderen und somit auch, wenn es um das Thema Geburt geht. Warum hat sie das geschafft und ich nicht? Oftmals vergessen wir dabei, dass wir unterschiedliche Voraussetzungen im Bezug auf die Geburt gehabt haben und der Vergleich der Geburten eher einem Vergleich von Äpfel mit Birnen gleich kommt. Macht es die Sache nicht einfacher, wenn wir bei uns bleiben und ohne Vergleiche die Geburtserlebnisse verarbeiten? Eine schwieriger aber lohnenswerter Anfang! 

 

 

Wie finde ich nun heraus, wie meine persönliche optimale Geburt aussehen soll?

 

Kurz und Knackig: In dem du schaust, was für dich am besten ist. Die Antwort für dich zu finden ist ein Prozess, der gerade am Ende der Schwangerschaft an Fahrt aufnehmen kann. Als Hilfestellung, um deine persönliche Wunschgeburt herauszufinden, habe ich dir einen kleinen Fragenkatalog zusammengestellt. Beantworte dir diese Fragen zum einen unter dem Aspekt "wie wünsch ich es mir" und unter dem Aspekt "wie lässt sich der Wunsch real umsetzen". Ergänze weitere für dich wichtige Punkte.

  • Welche Glaubenssätze habe ich über die Geburt? ("Geburt ist das natürlichste der Welt. Warum sollte gerade ich das nicht meistern."; "Die Geburt wird bestimmt schwierig, bei den Prophezeiungen über die Größe meines Kindes";...)
    • Woher stammen diese Glaubenssätze?
    • Haben Sie sich aus Erzählungen geformt, die mit mir selbst eigentlich nichts zu tun haben?
  • Gibt es "Komplikationen" während der Schwangerschaft, die ggf. eine vaginale Geburt erschweren können?
  • Habe ich bereits Kind(er) geboren, deren Geburt Auswirkungen auf die anstehende Geburt haben könnten?
  • Habe ich vor bestimmten Dingen im Beug auf die Geburt Angst? (Dammschnitt, Saugglocke, Kaiserschnitt, Wehenschmerz,...)
    • Wenn ja, Frage dich warum! Oftmals verlieren diese angstbesetzten Dinge ihren Schrecken, wenn wir wissen, was genau uns Angst macht. Gerne kannst du hierfür auch Hilfe in Anspruch nehmen. Frage deine Hebamme, Doula, den Gyn nach genauen Abläufen, Vorteilen und Risiken dir Angst machender Eingriffe.
  • In welchem Setting befinde ich mich?
    • Entfernung zur nächsten Klinik, Geburtshaus o.ä.
    • Ausstattung des Geburtsortes (Wanne,...)
    • Wie schnell kann die Begleitperson, Hebamme, Doula etc. bei mir sein? Wie schnell sollten Sie da sein?
    • ...
  • Welche Meinung vertritt mein Partner / der Vater des Kindes?
    • Kommt dein Partner mit zur Geburt, solltet ihr als Team gut zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen. Überprüfe jedoch im Vorfeld, ob ihr die gleiche Meinung im Bezug auf unterschiedliche Methoden habt und kommt zu einem gemeinsamen Entschluss. Mit diesem Entschluss solltest vor allem du absolut überzeugt sein. Der Partner /Vater des Kindes und dessen Meinung spielt in diesem Fall, da er in die Geburt nicht körperlich involviert ist, die Nebenrolle. 
  • Gibt es weitere für mich relevante und wichtige Punkte? 

Wenn du den Fragenkatalog für dich beantwortet hast, deine Wünsche mit den realen Voraussetzungen, die für dich gelten, abgeglichen hast, sollte sich ein realistisches Bild deiner Wunschgeburt gebildet haben. Realistisch deswegen, da du durch Abgleichen mit den örtlichen und individuellen Voraussetzungen unrealistische Wünsche beiseite schieben konntest. Denn was bringt es dir, die spontane Alleingeburt im Wald zu wünschen, wenn - blöd gesagt- kein Wald da ist oder du wegen einer vorgelagerten Plazenta drohst bei der spontanen Geburt zu verbluten?!

Du kannst dieses Bild deiner Wunschgeburt als Anker benutzen, der dich durch die weitere Schwangerschaft und anstehende Geburt begleitet. Passe ihn an, falls es vor der Geburt Änderungen gibt. Auch wenn ein geplanter Kaiserschnitt ansteht kannst du dir dieses Bild kreieren, damit du gut vorbereitet bist. Denn Geburt ist nicht gleich Geburt und Kaiserschnitt nicht gleich Kaiserschnitt.

 

Sei dir bewusst, dass eine Geburt immer ein Abenteuer ist, von dem wir zwar das Ziel kennen, aber noch nicht den Weg, der uns ans Ziel führt. Auch wenn du gut über deine Wünsche und Voraussetzungen bescheid weißt, bleibe offen für jede Wendung die eine Geburt parat halten kann. Diese Offenheit kann gerade in schwierigen Momenten wichtig sein und das größte Drama abwenden!

 

Mit dem Bewusstsein über deine Wünsche und Voraussetzungen im Hinblick auf die Geburt hast du einen wichtigen Schritt in deiner mentalen Geburtsvorbereitung gemacht! 

 


 

Der Vollständigkeit halber eine wichtige Info zum Schluss: Die Tipps, die du in diesen und auch anderen Blogeinträgen oder Videos von mir bekommst, garantieren nicht, dass du eine unbeschwerte Geburt erleben wirst. Viel mehr stellen diese Tipps Hilfestellungen dar. Sie resultieren aus den Erfahrungen, die ich als Therapeutin in der Geburtstraumatherapie und selber als Schwangere und Mutter gemacht habe.