Im vorletzten Teil unserer Info Reihe zum Thema "belastende Geburten und Schwangerschaften" geht es um die Verarbeitung und Aussöhnung mit dem belastenden Erlebnis: Wie kann ich das Erlebte hinter mir lassen? Was heißt "Verarbeitung" überhaupt? Wer oder was kann mir dabei helfen? Wie kann ich mich selber unterstützen?
Was heißt "Verarbeitung" überhaupt?
Die Verarbeitung eines belastenden Erlebnisses hat den Sinn, dass wir die unterbewusst aufgenommenen Aspekte ins Bewusstsein holen, unerlöste Gefühle wahrnehmen und diese ausleben. Ziel des Ganzen ist die Einordnung in unseren Erfahrungsschatz, um bei zukünftigen Erlebnissen ähnlicher Art nicht wieder in die Überforderung zu rutschen.
Kommen wir nach einem Ausnahmezustand, die eine traumatische Geburt oder Schwangerschaft sind, wieder zur Ruhe fängt unser Geist an die Erlebnisse hervorzukramen und zu verarbeiten. Vielleicht kennst du die Redensart "Ich muss das (Ereignis) erstmal verdauen" ? Genau das passiert auf der emotionalen Ebene! Nach dem wir die Schock-Starre verlassen haben und uns wieder in sicheren Gefilden befinden realisieren wir was passiert ist. Wir erinnern uns bruchstückartig an Teile des Erlebnisses. Unsere Gefühle brechen unkontrolliert über uns herein. In dieser Phase der Verarbeitung fühlt sich alles chaotisch an. Ich vergleiche dies gerne mit dem Bild eines ungeordneten Puzzles, welches einfach irgendwie auf einen Haufen geworfen worden ist. Unsere Aufgabe ist es nun dieses Chaos zu sortieren, damit wir das Puzzle zu einem kompletten Bild zusammenfügen können. Fangen wir an zu sortieren nimmt das Gefühl von Chaos allmählich ab. Es wird möglich über die Erlebnisse zu reden, ohne sofort in Tränen auszubrechen. Wir erhalten etwas Abstand zu den Geschehnissen und meist stabilisiert sich auch unser Alltag. Im folgenden findet die sogenannte Integration statt, so der Fachjargon. In dieser Phase fangen wir an das Erlebte zu akzeptieren. Das Gedankenkarussel dreht sich langsamer und wir kommen aus der "Wenn ich doch mal...., dann wäre alles anders gelaufen"-Gedankenschleife heraus. An dieser Stelle kehrt erstmals Ruhe ein. Eine heilsame Aussöhnung mit dem Erlebten ist dann erreicht, wenn wir aus dieser Erfahrung neue positive Ressourcen für uns ziehen können. Dies kann etwa ein gestärktes Selbstvertrauen oder eine bessere Durchsetzungskraft sein. Steht man am Anfang einer solchen Verarbeitung scheint die heilsame Aussöhnung schier unerreichbar. Die Zeit bis eine heilsame Aussöhnung stattfinden kann ist individuell sehr unterschiedlich. Meist spielen weitere Schwangerschaften und Geburten eine wichtige Rolle, um eine vorangegangene belastende Schwangerschaft und Geburt vollständig zu verarbeiten.
Damit wir die Belastung wirklich ablegen und in der Verarbeitung voranschreiten können, können wir zum einen auf professionelle Hilfe von Therapeuten und zum anderen auf eigene Ressourcen im Sinne der Selbsthilfe zurückgreifen. Gerade die Selbsthilfe, das kümmern um sich selbst sehe ich als wichtigen Baustein auf dem Weg zur heilsamen Aussöhnung.
Bei der Suche nach Unterstützung sollten drei wichtige Aspekte beachtet werden:
- Es gibt keine starren Vorgaben, wie eine Aufarbeitung auszusehen hat: Womöglich benötigst du in den verschiedenen Phasen der Verarbeitung verschiedene Hilfsangebote!
- Lasse dich nicht durch andere zu einem Angebot überreden!
- Bleibe dir stets treu und handle aus freien Stücken!
Hilfe zur Selbsthilfe
An erster Stelle steht für mich das Gespräch mit vertrauensvollen Personen. Redet, redet, redet! Durch das Reden über die Erlebnisse kann euer unsortiertes Puzzle bereits vorsortiert werden. Ihr erinnert euch immer besser, Ungereimtheiten und Verständnisfragen tauchen auf, die im weiteren Verlauf mit der Hebamme, dem Arzt oder anderem Fachpersonal geklärt werden können. Gerade das Verstehen auf der sachlichen Ebene (Warum musste das Kind nochmal mit der Saugglocke geholt werden?) kann entlasten und Schuldzuweisungen an uns selbst reduzieren. Ich biete betroffenen Frauen Workshops an, bei denen wir über Geburtstrauma im allgemeinen sprechen, die Frauen über ihre Erlebnisse reden und sich austauschen können, sowie in der Selbsthilfe angeleitet werden. Die Frauen dürfen hierbei zwischen einer kinesiologischen Selbstbehandlung und einer Meditation zur Stärkung des Körpergefühls wählen. Reden ist im Übrigen einer von zwei wichtigen Bausteinen in meiner therapeutischen Arbeit. Durch das Reden über das Erlebnis kommen wir an die Essenz: Was genau ist das Problem? Welcher kleine Aspekt des Großen und Ganzen ist besonders belastend? Diese Erkenntnis öffnet häufig ungeahnte Türen!
Inzwischen gibt es auch eine große Bücherauswahl, die sich dem Thema "Traumatische Geburten" annimmt. Oftmals sind Bücher zu diesem Thema online oder in großen, gut sortierten Buchhandlungen zu beziehen.
Neben dem Gespräch können verschiedene andere Möglichkeiten wahrgenommen werden. Kleine Rituale zum Beispiel, die uns helfen die Bindung zu unserem Kind zu stärken. Oft fehlt der erste Moment mit dem Kind. Dieser wird im nachhinein von vielen schmerzlich vermisst. Mit Hilfe eines Babyheilbades oder dem Ritual des rosaroten Herzfadens nach B. Meissner können diese Momente in gewisser Weise nachgeholt und die Bindung zwischen Mutter und Kind gestärkt werden.
Auch das Führen eines Tagebuchs kann hilfreich sein, um das Chaos im Kopf zu sortieren. Ein Ritual, dass ich Betroffenen gerne mit auf den Weg gebe, ist das "Schiffchen-Ritual": Schreibt alle wichtigen Aspekte zu eurem belastenden Erlebnis auf eine Seite, faltet daraus ein Schiffchen und schickt es an einem Fluss auf die Reise oder verbrennt es. Somit könnt ihr die Dinge loslassen und euch davon befreien. Dieses Ritual wird oft durchgeführt, wenn die Verarbeitung bereits voran geschritten ist.
Wenn ihr sehr kreativ seid und Erfahrungen im Malen habt könnt ihr eure Erlebnisse auch in einem Bild verarbeiten oder mit Hilfe der Musik eure Gefühle ausdrücken. Eurer Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
Welche professionellen Angebote gibt es?
Ganz klassisch können betroffene Frauen und Familien bei einem Psychotherapeuten oder Traumatherapeuten Hilfe suchen. Eine spezielle Weiterbildung im Bezug auf Geburtstraumata ist hier sinnvoll. Sogenannte Geburtsnachsorgegespräche werden z.B. von Astrid Saragosa angeboten.
Verschiedene Beratungsstellen bieten Beratungen und Begleitung im Alltag mit Kindern an. Das Diakonische Werk, ProFamilia oder Donum vitae, um nur einige wenige zu nennen. Hier findet ihr im Internet weitere Informationen über Beratungsangebote in eurer Region.
Aus der alternativen Heilkunde gibt es unterschiedliche Ansätze mit denen die belastende Erfahrung verarbeitet werden kann bzw. Betroffene sich auf eine weitere Geburt vorbereiten können. Die Hypnosetherapie ist ein Beispiel. In meiner Praxis wende ich unter anderem die Kinesiologie zur Begleitung nach belastenden Geburten an. Mit diesem Verfahren kann entstandener Stress aufgespürt, Blockaden gelöst und das innere Gleichgewicht wieder hergestellt werden.
Bei körperlichen Beschwerden, wie Narbenschmerzen oder -verwachsungen können alternative Methoden Linderung bringen: klassische Homöopathie, (Injektions-) Akupunktur oder Therapeutische Frauenmassage sind nur einige wenige Beispiele. Am besten sucht ihr nach Therapeuten in eurer Region, die sich auf die Behandlung von Frauen spezialisiert haben. Einige Kolleginnen von mir haben sich bereits die mMühe gemacht und umfangreiche Linklisten mit verschiedensten Therapie- und Beratungsangeboten erstellt. Auf dem Blog von Christina Mundlos findet ihr eine Sammlung über verschiedenste Beratungs- und Therapieangebote. Auch auf der Seite der "Initiative für eine gerechte Geburtshilfe" findet ihr Infos und Links zu Hilfsangeboten.
Seit einigen Jahren rückt dank mutiger Frauen das Thema "Geburtstrauma" und "Gewalt unter der Geburt" mehr und mehr in den gesellschaftlichen Fokus, so dass auch die Anzahl an speziellen Hilfsangeboten steigt.
Kurz und Knapp
Die Verarbeitung des belastenden Erlebnisses ist wichtig für unsere emotionale und körperliche Gesundheit. Verdrängung kann für eine gewisse Zeit eine akzeptable Übergangslösung sein. Ist aber nicht nachhaltig. Denn spätestens wenn der nächste Kinderwunsch ansteht oder vielleicht sogar schon die Wochen bis zur nächsten Geburt gezählt werden, rücken die Erlebnisse aus der letzten Geburt / Schwangerschaft wieder in unseren Fokus und wollen angeschaut werden. Zur Verarbeitung der Erlebnisse können verschiedenste Therapie- und Beratungsangebote wahrgenommen werden. Aber auch die Selbsthilfe sollte Teil der Verarbeitung sein. Denn wenn ich mich gut um mich sorge, kann ich wieder in meine innere Mitte finden. Bei der Wahl einer geeigneten Unterstützung solltet ihr aus freien Stücken handeln, euch nicht überreden lassen und ggf. unterschiedliche Angebote zu verschiedenen Zeitpunkten wahrnehmen.
Für die Verarbeitung deines belastenden Geburts- oder Schwangerschaftserlebnisses wünsche ich dir Zeit, Mut, die Dinge anzuschauen und vertrauensvolle Unterstützung!
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