
Im dritten Teil unserer Info-Reihe zum Thema "Geburtstrauma und belastende Schwangerschaften" geht es um deren Folgen. Welche Auswirkungen hat das Erlebte auf mentaler/emotionaler Ebene? Bekommen Betroffene automatisch eine Wochenbettdepression? Wie wirkt sich das Erlebnis auf die Bindung zwischen Mutter und Kind aus? Haben Betroffene auch mit körperlichen Folgen zu kämpfen?
"Eigentlich dachte ich, dass ich mich über mein Kind freuen werde. Dass ich mich beim ersten Anblick unsterblich in mein Kind verliebe und auf "Wolke 7" schweben werde. Jetzt fühlt es sich so an, als ob meine Freude durch einen Schleier gedämpft worden ist. Ich weiß, dass ich mich freuen sollte, kann es aber nicht! Ich fühle mich nicht wie eine normale Mutter" Mit solchen und ähnlichen Beschreibungen werde ich sehr häufig in der mentalen Geburtsnachsorge konfrontiert. Frischgebackene Mütter schildern ihre Gefühle nach einer belastenden Geburtserfahrung. Sie sind enttäuscht, traurig und versuchen sich den Erwartungen von Außen anzupassen. Vergleichen sich mit einem nicht existenten Ideal, dass durch die Medien- und Werbeindustrie geprägt worden ist. Ein Ideal gegen das sie immer verlieren werden.
Emotionale Achterbahn
Nach einem traumatischen Erlebnis wird unsere Gefühlswelt ordentlich durcheinander geworfen. Nachdem die Schock-Starre, in der wir uns emotional taub fühlen, nachgelassen hat brechen die Gefühle unkontrolliert über uns herein. Unser Körper versucht das Erlebnis nachträglich zu verarbeiten. Wir weinen, sind wütend, enttäuscht von unseren Erwartungen, traurig oder vielleicht sogar verwirrt. Unsere Gefühle fahren Achterbahn zwischen zu Tode betrübt und himmelhoch jauchzend. Angeheizt durch den hormonellen Umbruch nach einer Geburt und den neuen Anforderungen, welche die frischgebackene Mutter und Familie zu bewältigen haben. Nicht zu vergessen, dass auch die Beziehung der Eltern unter einer schwierigen Schwangerschaft und Geburt leiden kann. Dieses Wirrwar kann schnell überfordern. Man erkennt sich selber nicht mehr; ist schnell gereizt, kraftlos, zieht sich zurück und fühlt sich nicht verstanden von den vertrauten Personen. Kurzgefasst: wir befinden uns im Stressmodus!
Theoretisch ist die Wahrscheinlichkeit nach einer traumatischen Geburt eine Wochenbettdepression auszuprägen erhöht. Die meisten Frauen, die eine belastende Geburt erlebt haben, sind jedoch nicht davon betroffen. Bevor die Frauen zu mir kommen haben Hebammen und Ärzte eine Wochenbettdepression oder PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) meist schon ausgeschlossen. Das täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass etwas nicht stimmt, Stress herrscht und die Frau Unterstützung zur Verarbeitung des Erlebten benötigt.
Auch vor unserem Neugeborenen macht dieser Stress nicht halt. Wir sind in den ersten Lebensmonaten und Jahren noch sehr eng mit unseren Kindern verbunden. Jedes Gefühl - ob positiv oder negativ - wird vom Säugling wahrgenommen und gespiegelt. Nicht selten berichten betroffene Mütter davon, dass ihre Kinder viel schreien, schlecht essen und schlafen oder Stillschwierigkeiten bestehen. Natürlich muss sich ein Kind in den ersten Monaten in unserer Welt zurechtfinden und Schreien ist eine der wenigen Verständigungsmöglichkeiten des Säuglings. Wir erkennen jedoch schnell, wann das gewöhnliche Maß überschritten ist. Zum anderen können sehr unruhiger Schlaf, Stillschwierigkeiten, stundenlange Schreiattacken u.ä. Anzeiger dafür sein, dass das Kind selber belastet ist.
Mutter-Kind-Bindung: alles ist möglich!
Die Bindung zum Kind kann, muss aber nicht vom Trauma betroffen sein. "Der Anblick meines Kindes hilft mir mit den schlimmen Erfahrungen zurecht zu kommen."; "Ich hätte wegrennen können. Mein Kind einfach liegen lassen können. Ich hatte zu Beginn keine gute Verbindung zu ihm." So unterschiedlich diese beiden Schilderungen sind, so unterschiedliche Auswirkungen kann eine belastende Geburt auf die Mutter-Kind-Bindung haben. Manche Betroffenen haben eine wundervolle Beziehung zu ihrem Kind, die durch die traumatischen Erfahrungen eher gestärkt worden ist. Andere wiederum brauchen Zeit, um eine Beziehung aufzubauen, da der Schmerz über die Erlebnisse zu groß ist. Schreitet die Verarbeitung voran, kann Stress abgebaut werden und findet die Mutter oder auch der Vater wieder in sein Gleichgewicht, verbessert sich die Beziehung zum Kind meist automatisch. Die Ablehnung eines Kindes und der eigenen Mutterrolle nach einer traumatischen Geburt ist nicht selten und kann als Schutzmechanismus gesehen werden. Die Mutter muss sich erst aus einer womöglich lebensbedrohlichen Situation befreien und in Sicherheit befinden, bevor sie sich dem Nachwuchs widmen kann. Ein Überbleibsel aus der "Steinzeit", das damals zum Erhalt der Population beigetragen hat und heute als Anzeiger für eine Belastung herangezogen werden kann. Darüberhinaus dürfen wir nicht vergessen, dass wir unser Kind nach der Geburt erstmal kennen lernen müssen. Die Vorstellung darüber, dass wir automatisch über alle Charakterzüge und Eigenschaften unseres Kindes bescheid wüssten, ist leider eine Idealvorstellung. Im Übrigen können belastende Geburtserfahrungen auch mit zu hohen Ansprüchen an sich selbst und an die medizinischen Möglichkeiten im allgemeinen in Verbindung stehen. Hierzu mehr in Teil IV der Info-Reihe.
Körperliche Beschwerden können das Ventil unterdrückter Emotionen sein!
Leidet eine Frau unter den Erlebnissen aus Schwangerschaft, Geburt oder Wochenbett kann sich dies natürlich auch in Form von körperlichen Symptomen zeigen. Schlecht heilende Wunden, Milchstau, immer wiederkehrende Brustentzündungen, unzureichende Milchbildung, Kopfschmerzen oder Muskelverspannungen sind nur einige wenige Beispiele. Dies sind natürlich Symptome, die auch in einem anderen Kontext unabhängig vom Geburtserlebnis auftreten können. Stress und Überforderung, die durch unerlöste Gefühle nach solch einem belastenden Erlebnis auftreten können, fördern jedoch die Entstehung dieser. Oft ergibt sich während eines ausführlichen Gesprächs mit den Betroffenen ein Gesamtbild für das auch körperliche Beschwerden eine wichtige Rolle spielen. Für die Betroffenen ist es wichtig zu wissen, dass hier eine Verbindung zwischen den körperlichen Beschwerden und der emotionalen Belastung bestehen kann. Ich beschreibe dies gerne mit dem Bild einer Großbaustelle: Auf einer Großbaustelle wird an verschiedenen Stellen gearbeitet: Es wird gebaut, saniert, renoviert und abgerissen. Also völlig verschiedene Dinge gemacht, die jedoch alle das gleiche Ziel verfolgen. Nämlich ein neues Gebäude zu errichten. Mit uns verhält es sich ähnlich. Unsere Großbaustelle ist in diesem Fall das belastende Erlebnis: an einer Stelle macht es sich durch Reizbarkeit und Kraftlosigkeit bemerkbar. An anderer Stelle durch Milchstau und Spannungskopfschmerz. Reizbarkeit, Kraftlosigkeit, Milchstau und Spannungskopfschmerz sind völlig unterschiedliche Symptome, die jedoch ein und denselben Zweck erfüllen: nämlich unsere Aufmerksamkeit auf die unerlösten Gefühle und deren Verarbeitung zu lenken. Wenn wir wissen, dass sich nicht immer wieder neue "Baustellen" ergeben, sondern diese zu einer einzigen "Großbaustelle" gehören, kann sich Erleichterung einstellen. Wir müssen uns nicht um all diese Dinge im einzelnen kümmern, sondern die gemeinsame Ursache der einzelnen Symptome beheben. In diesem Fall die Verarbeitung des belastenden Geburtserlebnisses vorantreiben. So lösen sich wiederkehrende therapieresistente Brustentzündungen und Spannungskopfschmerz meist von selbst auf. Unsere Energie kehrt zurück und wir kommen wieder in unserer Mitte an!
Kurz und Knapp
Belastende Erlebnisse Rund um die Geburt können verschiedene Folgen mit sich bringen. Emotionale und körperliche Beschwerden treten meist kombiniert und in unterschiedlicher Intensität auf. Die Mutter-Kind-Bindung oder die Bindung zum Vater des Kindes kann, muss aber nicht betroffen sein. Wenn doch, kann sich die Belastung stärkend, wie schwächend auf die Beziehung auswirken. Wichtig zu wissen ist, dass sich unsere unerlösten Gefühle oft an verschiedenen Stellen durch unterschiedlichste Symptome zeigen und alle einer gemeinsamen Ursache entspringen.
Wenn wir an dieser ansetzen, also anfangen das Erlebte zu verarbeiten und unsere Gefühle zu erlösen, kann Aussöhnung und Heilung entstehen!
Kommentar schreiben