
Haben all die Aufrufe, Beschwerden und Aktionen Rund um die Geburt und dem Kaiserschnitt Früchte getragen? Wird sich etwas an der Situation in den Kreißsälen ändern? Die Techniker Krankenkasse ist in zwei großen Untersuchungen zu dem Schluss gekommen, dass Frauen vor und unter der Geburt Unterstützung erhalten sollten, um eine vaginale Geburt zu fördern und unnötige Kaiserschnitte zu verhindern. Vor allem auch unter dem Aspekt, dass "Kaiserschnittkinder" und zu früh geborene Kinder womöglich einem erhöhtes Risiko für bestimmte Erkrankungen ausgesetzt seien.
In der letzten Woche bin ich auf zwei sehr interessante Arbeiten der Techniker Krankenkasse gestoßen. Zum einen der Kindergesundheitsreport, der Anfang September diesen Jahres veröffentlicht wurde. Und zum anderen der Geburtenreport von 2017. Beide Untersuchungen hängen thematisch eng beieinander. Die Techniker Krankenkasse hat sich scheinbar zum Ziel gesetzt u.a. den Kaiserschnitt genauer unter die Lupe zu nehmen. In der ersten Untersuchung, dem Geburtenreport von 2017, wurde der Frage nachgegangen, ob "viele Kaiserschnitte viele Leben retten, wenn doch ein Kaiserschnitt ein Leben retten kann", welche Folgen Kaiserschnitte haben können und in wie fern Vorerkrankungen der Mutter und des Kindes Einfluss auf die Art der Geburt (vaginal oder operativ) haben. In der zweiten Untersuchung, dem Kindergesundheitsreport von 2019, wird der Gedanke weitergeführt auf die Zeit nach dem Kaiserschnitt: In wie fern hat die Art der Geburt (vaginal oder operativ) Einfluss auf die Gesundheit der Kinder. Haben Kinder, die per Kaiserschnitt oder zu früh geboren worden sind, ein erhöhtes Risiko für Erkrankung X?
In beiden Untersuchungen wurden Patientendaten retrospektiv ausgewertet. Retrospektiv bedeutet hier so viel wie "nachträglich ausgewertet". Retrospektive Untersuchungen sind in ihrer Aussagekraft nicht so stark, wie prospektive Studien. Kurzgefasst heißt dass, das die Untersuchungsergebnisse der TK-Reporte als Hinweis dienen und keine unumstößliche Gewissheit über z.B. ein erhöhtes Asthmarisiko für "Kaiserschnittkinder" besteht. Weitere Untersuchungen müssen unternommen werden, um einen tatsächlichen Zusammenhang zwischen z.B. Kaiserschnitt und erhöhtem Erkrankungsrisiko für bestimmte Krankheiten bei Kindern zu belegen.
Die TK kommt in beiden Untersuchungen grob zusammengefasst zu dem Schluss, dass es zum einen wichtig ist, die Frauen vor der Geburt und unter der Geburt gut zu begleiten, um unnötige Kaiserschnitte zu verhindern (Geburtsreport 2017) . Es wird explizit darauf eingegangen gerade bei den sogenannten "relativen Indikationen für einen Kaiserschnitt" genauer hinzusehen und die Frau in Richtung vaginaler Entbindung zu unterstützen. Relative Indikation für einen Kaiserschnitt sind alle Gründe für die Durchführung eines Kaiserschnitts, die nicht lebensbedrohlich für Mutter und/ oder Kind sind. Z.B. gehört die Angst vor der Geburt zu den relativen Indikationen. Das Gegenteil sind die absoluten Indikationen, wie z.B. ein Gebärmutterriss oder eine "Schwangerschaftsvergiftung" (HELLP-Syndrom), bei denen eine lebensbedrohliche Situation für Mutter und/oder Kind vorliegt. Zum anderen sollen Kinder, die zu früh oder per Kaiserschnitt geboren worden sind in den ersten Lebensjahren genau beobachtet werden, da man durch die Auswertung Hinweise gefunden hat, das eben diese Kinder ein erhöhtes Risiko für bestimmt Erkrankungen haben könnten (Kindergesundheitsreport 2019).
Und nun?
Als Therapeutin, die sich sehr viel mit Geburtsängsten, Geburtstraumata und deren Folgen beschäftigt begrüße ich die Untersuchungen der Techniker Krankenkasse. Auch wenn die Ergebnisse aus beiden Reporten nur als Hinweis dienen können und es keine absolute Gewissheit über die Zusammenhänge von Vorerkrankungen der Mutter, dem Geburtsmodus (Art der Geburt) und evtl. gesundheitlichen Risiken für das Kind gibt, werden erste wichtige Gedankenanstöße gegeben. Und abgesehen davon, dass dies unter dem Deckmäntelchen der Ökonomisierung im Gesundheitswesen geschieht, um sich und andere nicht bloß zu stellen. Immer wieder wurde in der Vergangenheit darüber diskutiert, ob mancher Kaiserschnitt nicht aus Profitgier der Krankenhäuser durchgeführt wurde oder Zeit- und Personalmangel im Kreißsaal dazu geführt haben, dass Frauen eindringlich zum Kaiserschnitt geraten wurde. Etliche Frauen haben ihren Unmut kundgetan und versucht mit Hilfe verschiedenster Aktionen das Thema Geburt und damit verbundene Probleme in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, um schließlich die Gesamtsituation zu ändern. Unsere Gesellschaft ist sehr auf den Verstand bezogen und reagiert oftmals nicht, wenn emotional aufgebrachte oder gar hysterische Frauen sich beschweren. Wenn hingegen eine große deutsche Krankenkasse, aus welchen Gründen auch immer, Zahlen und -mehr oder weniger- Fakten präsentiert, fängt es an zu Knirschen im Gebälk. Man kann nur noch schwerlich weghören und muss doch die ein oder andere Verhaltens- und Arbeitsweise überdenken. Vor allem wenn es dann doch um das liebe Geld geht, wie im Geburtenreport auf Seite 6 zu lesen ist.
Zum einen finde ich den Aufruf aus dem Geburtenreport 2017 die Frauen bei nicht lebensbedrohlichen Geburtssituationen darin zu unterstützen ihr Kind auf dem "natürlichen" vaginalen Weg zu bekommen sehr gut. An dieser Stelle kann ein Umdenken im Bereich der Geburtshilfe stattfinden. Zum anderen müssen diesen Worten auch Taten folgen. Denn wenn die Frauen Unterstützung erhalten sollen, brauchen wir mehr Personal, das Zeit hat die Geburt und die wichtige Zeit davor zu begleiten. Gerade wenn wir den Aspekt der Geburtsangst aufgreifen wünsche ich mir, dass Frauen einen besseren Zugang zu Therapieangeboten und Unterstützung erhalten. Es gibt viele unterschiedliche Angebot, die oftmals durch Unwissenheit über ihre Existenz nicht wahrgenommen und zum anderen durch den Kostenaspekt nicht in Anspruch genommen werden. Es wäre schön, wenn die Techniker Krankenkasse, die sich hier als Vorreiter auf dem Gebiet der Geburtshilfe hervortun möchte, auch in Aktion tritt und die Kosten für bestehende Therapieangebote ihren Patientinnen erstattet. Auch aus dem naturheilkundlichen und alternativmedizinischen Sektor. Das Hufelandverzeichnis könnte hier wegweisend sein, in dem theoretisch erklärbare und praktisch bewährte Therapiemethoden gelistet sind. Schließlich wären diese Kosten gering, absehbar und nicht zu vergleichen mit denen der Behandlung eines chronisch kranken Kindes und späteren Erwachsenen.
Das Ergebnis des Kindergesundheitsreport wirft eine weitere Frage auf: "Bin ich eine schlechte Mutter, wenn ich mein Kind per Kaiserschnitt zur Welt bringe?" Ich erlebe es häufig, dass Frauen, die ihr Kind per Sectio auf die Welt gebracht haben von Schuldgefühlen geplagt sind. "Hätte ich nicht doch nochmal die Zähne zusammenbeißen müssen, um mein Kind normal zu entbinden", "Ich habe es nicht geschafft mein Kind normal zu bekommen. Ich habe versagt." Mal ganz abgesehen davon, dass man hier und dort dumme Kommentare im Netz findet, die Kaiserschnittmütter als faul, empfindlich oder ähnliches diffamieren. Der Hinweis darauf, dass zu früh geborene und Kaiserschnittkinder womöglich mit gesundheitlichen Folgen leben müssen, heizt diese Schuldgefühle und das Gefühl versagt zu haben natürlich an. An dieser Stelle möchte ich diesen Gefühlen ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen. Der Zusammenhang zwischen Geburtsart und möglichen Folgeerkrankungen für das Kind sind bisher nur Hinweise auf mögliche Wahrscheinlichkeiten. Das Wissen darüber, dass sich gegebenenfalls chronische Krankheiten bei zu früh geborenen und Kaiserschnittkindern einstellen können, sollten wir nutzen. Denn mit dem Wissen können wir unsere Kinder beobachten, bei Bedarf frühzeitig unterstützen bzw. geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Gesundheit unseres Kindes zu fördern und zu bewahren!
Die Hinweise, die uns die TK-Reporte liefern, können wir nutzen, um...
1. die (mentale) Vorbereitung auf die Geburt zu verbessern,
2. durch mehr Zeit und Personal Kaiserschnitte zu vermeiden, wo es möglich ist,
3. unsere Kinder besser zu versorgen und
4. natürlich das Geld am richtigen Ende zu sparen, um es an anderer geeigneter Stelle zu investieren!
Und damit hätten wir einen großen Stein ins Rollen gebracht, der und noch einiges an Arbeit verlangt und Veränderung mit sich bringt! Und wenn dieser Stein unter dem Deckmäntelchen der Ökonomisierung im Gesundheitswesen rollt...Hauptsache er rollt in die richtige Richtung!
Hier noch die Reporte im Original zum Nachlesen:
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