Alles Rosarot - oder wie? Wenn der Traum von Schwangerschaft & Geburt zum Trauma wird! Nicht jede Frau erlebt die Schwangerschaft, die Geburt ihres Kindes und die Zeit danach als glücklich. Mutter, Vater und Familie werden ist eine Veränderung, die unser Leben an sich auf den Kopf stellt. Passieren dann auch noch Dinge, die uns erschüttern, mit denen wir nicht gerechnet haben und die uns aus den Angeln haben, kann es zu einer Belastung und Zerreißprobe werden. Im ersten Teil der Info-Reihe zu belastenden Schwangerschaften und Geburten dreht sich alles um die Fragen: Was ist ein Geburtstrauma überhaupt? Ist das Trauma nur auf die Geburt begrenzt und wie erkenne ich, ob ich betroffen bin und Hilfe benötige?
Was ist ein Geburtstrauma überhaupt? Bin ich betroffen?
Beginnen wir der Vollständigkeit halber mit der wissenschaftlichen Definition von Trauma: Ein Trauma im Allgemeinen ist laut DeGPT (Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie) eine Situation, die unser biologisches Stresssystem überfordert und in uns eine tiefe Erschütterung hervorruft. Diese Überforderung kann zu seelischen wie körperlichen Beschwerden führen, da es uns nicht möglich ist den entstandenen Stress abzubauen. Wir bleiben also auch nach der erlebten Situation in einer Art Stresszustand.
Kurz gesagt: Zum Selbstschutz schaltet unser System auf Autopilot!
Wir erleben unter der Geburt eine Situation, die uns so dermaßen aus den Angeln hebt, dass wir nicht mehr in der Lage sind zu denken oder adäquat zu reagieren. Wir fühlen uns wie in einem Tunnel und alles andere in unserem Umfeld rauscht an uns vorbei, ohne das wir darauf wirklich Einfluss hätten. Manche Frauen, die eine traumatische Geburt erlebt haben berichten zum Beispiel, dass Sie in der stressigen Situation immer wider Ohnmächtig geworden sind oder nicht mehr Reden konnten. Dies ist eine Art Schutzmechanismus unseres Körpers, kein Defekt!
Oft geht dem Ganzen ein Kontrollverlust voraus. Dinge passieren, die nicht vorhersehbar sind und auf die wir keinen Einfluss haben. Zum Beispiel die Nabelschnur, die sich um das Kind legt und dann zu abfallenden Herztönen führt. Oder ein Unfall vor der Geburt, der ein Schleudertrauma mit sich bringt und schließlich dazu führt, dass das Kind nicht richtig in den Geburtskanal rutschen kann. Der Geburtsverlauf verändert sich hierdurch anders, als wir es uns vorgestellt haben bzw. es zu erwarten war. Wir fühlen uns ohnmächtig. Ist die Belastung vorüber fühlt es sich in etwa so an, als ob Stille herrscht, nachdem ein Orkan über uns hinweg gezogen ist. Erst später brechen unsere Gefühle unkontrolliert über uns herein und wir realisieren, was eigentlich passiert ist.
Ist das Geburtstrauma nur auf die Geburt selber begrenzt?
"Nein" lautet die Antwort. Ab wann die betroffene Frau eine Überforderung erfährt, die zu einem traumatischen Erleben führt ist so individuell, wie die Frauen selber. Das Unglück kann schon früh in der Schwangerschaft beginnen, wenn es zum Beispiel unstimmige Ultraschalluntersuchungen gibt, die eine weitere medizinische Abklärung erfordern. Die Frau und vielleicht auch der Partner geraten in Stress, der im weiteren unter Umständen zu einer Überforderung führen kann. Auch nach der Geburt kann sich eine tiefe Erschütterung einstellen, wenn z.B. schmerzende, schlecht heilende Wunden davongetragen wurden oder Erkrankungen des Kindes festgestellt werden oder das Kind auf die Intensivstation verlegt werden muss. Oft höre ich die Frauen sagen: "Das Ganze fing schon früher an und ging unter der Geburt weiter" oder "Nach der Geburt kam eins zum anderen. Das hat bei mir irgendwann den Schalter umgelegt und ich konnte nicht mehr." Oft findet eine Art Dominoeffekt statt. Ein Steinchen fällt um und löst eine ganze Kaskade von stressigen Situationen aus, die wir kaum kontrollieren können und uns letztendlich überfordern.
Und jetzt? War meine Geburt so schlimm, dass ich traumatisiert bin?
"Hauptsache dem Kind geht es gut", "Ist doch nochmal alles gut gegangen" oder "Kinder kriegen ist halt kein Spaziergang." sind gut gemeinte Ratschläge, die leider vieles schlimmer machen können! Hier ein Appell an alle Freundinnen, Freunde, Partner, Omas, Opas und alle anderen: Bitte, haltet mit euren beschwichtigenden Ratschlägen hinterm Berg. Die möchte wirklich keine betroffene Frau hören. Niemand kann besser beurteilen, ob die Zeit um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett schlimm, nicht mehr auszuhalten oder gar traumatisierend ist, als die Betroffene selber. Hier zählt nicht das was passiert ist (Kaiserschnitt, Saugglocke, Einleitung,...), sondern was es in den Frauen auslöst: Wut, Ohnmacht, Angst, Scham,...!
Wenn du dich gerade fragst, ob du auch betroffen bist kannst du dir folgende Fragen stellen:
1. Habe ich in der Schwangerschaft, unter der Geburt oder im Wochenbett Dinge erlebt, die unvorhersehbar waren und mich
im tiefsten erschüttert haben?
2. Habe ich Situationen erlebt, die in mir ein Gefühl von Ohnmacht hervorrufen?
3. Empfinde ich eine tiefe Traurigkeit, wenn ich an die belastende Zeit zurück denke?
4. Ist ein weiteres Kind für mich momentan wegen der erlebten Situation unvorstellbar?
5. Hängen meine Gedanken immer und immer weider an der erlebten Situation und ich kann diese einfach nicht vergessen?
6. Bin ich seit der belastenden Situation nicht mehr ich selbst, reagiere oft gereizt, empfindet Neid und Ungerechtigkeit
gegenüber anderen Müttern?
7. Hast du Probleme dein Kind so anzunehmen, wie es ist? Fühlst du dich manchmal gar nicht wie eine richtige Mutter?
Beantwortest du viele dieser Fragen mit ja, wäre es hilfreich wenn du dir Unterstützung suchst, um das Erlebte zu verarbeiten. Oft trauen sich die Frauen nicht ihre Gefühle und die Belastung, die durch das Erlebte entstanden sind, anzusprechen. Sei es beim Partner, der Freundin, der Hebamme oder anderen vertrauten Personen. Sie schämen sich, verharmlosen und beschwichtigen ihre Gefühle vor sich selbst, da ihnen mindestens eine Freundin oder Bekannte einfällt, die ihre Horror-Geburtsgeschichte kundgetan hat. Und diese ist bestimmt schlimmer. "Vielleicht stell ich mich ja doch nur an?" Im Übrigen können auch die Väter eine Geburt als traumatisierend erleben, wenn sie als passiver Begleiter ohnmächtig sind der Frau zu Helfen oder etwas an der Geburtssituation zu ändern. Sie sprechen noch viel weniger über ihre Belastung und schleppen diese stillschweigend mit sich herum. Oft kommt diese Belastung bei der Geburt des nächsten Kindes zum Vorschein, wenn z.B. der Partner der schwangeren Frau zu einem geplanten Kaiserschnitt rät, um die "Qualen nicht noch einmal durchleben zu müssen".
Im Endeffekt geht es nicht darum, eine Definition von Trauma zu erfüllen, sondern den aufgestauten Stress zu verarbeiten, Gefühle wahrzunehmen und ihnen Raum zu schenken. Es ist völlig egal was passiert ist. Ausschlaggebend ist, wie es von der/dem Betroffenen wahrgenommen wird und welche Gefühle dadurch ausgelöst werden.
Bist du betroffen und benötigst Hilfe?
Gerne kannst du dich an mich wenden: Schreibe eine E-Mail oder ruf mich direkt an!
Herzliche Grüße,
Claudia Wiesian
P.S. Nächste Woche beschäftigen wir uns mit den Auslösern von Geburtstraumata.
Kommentar schreiben